Kein Advent in Afghanistan

Es ist Advent. Das bedeutet „Ankunft“.

Aber für die bayerische und deutsche Regierung und ihre Behörden ist Abschiebezeit. Am Dienstag, den 3. Dezember 2019, soll der 1. Abschiebeflug nach Afghanistan gehen. In Bayern werden bereits wieder gut integrierte junge Männer eingesammelt, um sie aus dem schützenden vorweihnachtlichen Städten und Dörfern mitten in Bedrohung und Lebensgefahr zu schicken. Es sind Kranke dabei, unbescholtene, gut integrierte; manche werden aus ihren Familien gerissen. Viele standen kurz vor der Ausbildung. Eine Auswahl aus hunderten von „Fällen“ der letzten Monate und Jahre:

  • In Coburg wurde ein Brüderpaar mit 18 und 19 Jahren kurz vor dem Beginn der Ausbildung in Industrie und Handwerk, vier Jahre in Deutschland, von den Behörden gejagt und zum Untertauchen gezwungen.
  • In Kulmbach wurde eine ganze Gruppe von betreuten Jugendlichen zerschlagen. Sie hatten liebevoll betreut vier Jahre die Schule und Integration durchlaufen und gerade die Volljährigkeit erreicht. Der beste Junge seines Schuljahrgangs lebt nun prekär in täglicher Gefahr in Kabul und wartet auf die Rückkehr, die beherzte HelferInnen organisieren. Noch fehlt das Geld.
  • In Marktheidenfeld, Nürnberg und München wurden schon vor früheren Flügen Schüler vor und in der Schule verhaftet.
  • In Lohr wurde der Verlobte einer deutschen Frau wenige Tage vor der geplanten Hochzeit am Morgen in der Wohnung der Mutter mit einem großen Polizeiaufgebot brutal verhaftet und abgeschoben. Sie kämpft bis heute vergeblich um seine Rückkehr.
  • In Würzburg konnten wir beim letzten Flug mit Hilfe des Petitionsausschusses einen jungen bestens integrierten Mann retten, der herzkrank ist und in Kabul umgekommen wäre. Farshid H. (24) aus Würzburg wurde beim letzten Flug gerettet.
  • Ein ebenfalls sehr kranker Junge aus Augsburg schaffte es nicht. Er wurde erst am Abschiebetag geholt, und niemand rührte mehr einen Finger für ihn. Die Notfalltelefone waren nicht besetzt. Er wurde ohne seine lebensnotwendigen Medikamente abgeschoben, reiste dann zu seiner Mutter in ein nahes Dorf, die schwerkrank war und nach drei Tagen verstarb. Er erlitt einen psychischen Zusammenbruch und wurde in eine afghanische geschlossene Anstalt gebracht. Die Helferin aus Augsburg erhielt einen letzten Anruf mit schreienden und weinenden Menschen im Hintergrund. Er habe keine Medikamente, er habe große Angst und wisse nicht mehr weiter. Seither gab es kein Lebenszeichen mehr.
  • Schon vor zwei Jahren war ein junger Afghane aus Erlangen abgeschoben worden, eine Woche vor der Hochzeit. Er geriet in einer Stadt bei Kabul in einem schweren Bombenanschlag auf eine Moschee und wurde verletzt. Einige seiner Familienmitglieder und Freunde starben. Wir müssen davon ausgehen, dass etliche Abgeschobene Afghanistan nicht überlebt haben.

Afghanistan ist nicht sicher. Afghanistan kann tödlich sein.

Donald Trump, so sieht es aus, übergibt das Land nun an die Taliban und zieht seine Truppen ab. Deutschland wird vermutlich folgen. Die Reisewarnungen und der Lagebericht des Auswärtigen Amtes sind eindeutig. Trotzdem tragen Heiko Maas und die SPD die Abschiebungen weiter mit. Wir hoffen auf die neuen SPD-Vorsitzenden.

Der 30. Flug in drei Jahren steht bevor. Am 14.12.2016, auch im Advent, startete die erste Maschine nach Kabul. Damals nahmen wir den ersten jungen Afghanen ins Kirchenasyl und haben ihn Dank einer beherzten Pfarrerin gerettet. Hasib lebt jetzt gut mit Wohnung und Arbeit in Unterfranken, aber bis heute hat er die Panik und den Schrecken des Abschiebetages vor drei Jahren im Advent nicht vergessen.

Die Synode der Evangelischen Landeskirche Bayern hatte nach den ersten Flügen Anfang 2017 die Beendigung der Abschiebungen in das lebensbedrohliche Kabul gefordert und gleichzeitig zu Schutzgabe in den Kirchen ermutigt. Seither konnten wir viele junge und ältere Männer in den Kirchen und Klöstern retten , aber die Abschiebungen vieler anderer gingen weiter. Wir fordern alle Politiker auf wieder im Rahmen christlicher Ethik zu handeln.

Über 700 Menschen wurden bisher abgeschoben, davon ein gutes Drittel aus Bayern. Im letzten Flug waren es zwei Drittel aus dem so hartherzigen Freistaat, aus dem nun viele fliehen an sichere Plätze.

Das kann so nicht weitergehen. Es darf keine Gewöhnung eintreten an diese Praxis, die sich ein Land wie Deutschland mit seiner dunklen Geschichte nicht leisten kann. Deutschland ist ein Land geworden, in dem Menschenrechte besonders ernst genommen werden müssen.

Wir fordern alle politischen und gesellschaftlichen Kräfte auf, heute zu Beginn der Weihnachtszeit, die Stimme zu erheben und zu protestieren gegen die Abschiebungen nach Afghanistan. Wir möchten die
gutwilligen, christlichen und menschenfreundlichen Mitglieder der deutschen und bayerischen Regierung ermutigen, diesen Flug und alle folgenden abzusagen und aufzuhalten. Wir rufen die Leitung und Vertreter der Polizei auf, Ihre Mitarbeiter vor diesen gefährlichen Flügen zu schützen.
Wir bitten die Kardinäle und Bischöfe der Kirchen, die Vertreter der Synoden, ihre Erklärungen gegen die Abschiebung in ein Land am Rande des Bürgerkriegs zu erneuern.

Bitte setzen Sie ein Zeichen der Menschlichkeit und des Friedens in der Weihnachtszeit. Stoppen Sie den Flug am Dienstag und retten die bedrohten Menschen. Große Dankbarkeit und Verständnis in diesem Lande ist Ihnen sicher.
Es ist Advent.

Herzliche Grüße
i.A. Stephan Theo Reichel
München, am 1. Advent, dem 01. Dezember 2019

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